05.11.2011: Villa Cerro Castillo - Chile Chico - Wünderlich

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Samstag, 5.11.2011: Villa Cerro Castillo - Chile Chico
Die Nacht über durften wir ein kostenloses Konzert genießen, gegeben von sämtlichen streunenden Hunden in Villa Cerro Castillo. So oder so stehen wir früh auf, da wir heute noch einiges vor haben. Und wir haben richtiges Glück mit dem Wetter: Der Himmel ist wolkenlos blau und der mächtige Cerro Castillo erstahlt im Licht der ersten Sonnenstrahlen. Was für ein Kontrast zu gestern.


Der Cerro Castillo.

In Villa Cerro Castillo endet der asphaltierte Abschnitt der Carretera Austral. Wir sind zu der frühen Stunde fast alleine unterwegs. Die Straße führt Richtung Westen zunächst durch dichten Wald steil bergauf, dann wird es eben. Auf der rechten Seite, ein gutes Stück unter uns, verläuft parallel zur Straße der Rio Ibanez, auf den sich tolle Blicke bieten. In der Folge verliert die Straße wieder an Höhe, bis wir uns ungefähr der Ebene des Flusses angenähert haben. Hier gibt es einen toten Wald, bestehend aus Bäumen, die die Ausbrüche des Vulkans Hudson 1971 und 1991 nicht überstanden haben. Die Baumüberreste stehen inmitten von Ablagerungen aus verschlammter Vulkanasche im hier sehr breiten Rio Ibanez. Bei dem Vulkan Hudson handelt es sich übrigens um eben jenen Vulkan Hudson, wegen dem vor einer Woche noch die Carretera Austral gesperrt war. Christl, die Besitzerin vom Club los Ulmos bei Pucon hat ja uns damals im Internet gezeigt, dass die Alarmstufe Rot ausgerufen war und ein schwerer Ausbruch kurz bevor stand. Wir hatten uns schon innerlich darauf eingestellt, unsere Reiseroute komplett umwerfen zu müssen. Allerdings konnten wir schon vor fünf Tagen, von Internetterminal des Hotels in El Bolson aus, feststellen, dass für den Hudson die Alarmstufe Rot aufgehoben wurde. Nachdem uns auch keiner der Leute, mit denen wir uns in den vergangenen Tagen entlang der Carretera Austral unterhalten haben, gewarnt hat und ganz offensichtlich auch die Straße nicht mehr gesperrt ist, scheint sich der Vulkan in der Tat wieder beruhigt zu haben.


Toter Wald am Rio Ibanez.

Knapp 40 Kilometer hinter Villa Cerro Castillo verlässt die Straße das Tal des Rio Ibanez. Nun geht es etwas ruppig bergauf. Nach weiteren 25 Kilometern knickt der Straßenverlauf nach Süden ab und erreicht das Tal des Rio Manso, der später in den Rio Murta fließt. Zunächst verläuft die Straße hier sehr schön direkt neben dem wilden Fluss, dann weitet sich das Tal allmählich mehr auf und wird hier auch intensiver landwirtschaftlich genutzt als noch zuvor. Wir kommen an zahlreichen Gehöften vorbei. Etwas später öffnet sich das Tal komplett und wir erreichen den Lago General Carrera, den zweitgrößten und tiefsten See Südamerikas. Der See schimmert in phantastischen Blau-, Grün- und Türkistönen. Die Straße verläuft hier zwischen dem See auf der linken Seite und hohen schneebedeckten Bergen auf der rechten Seite. Die Gipfel der Berge sind in Wolken gehüllt und allgemein lässt sich feststellen, dass das Wetter weniger gut ist als noch heute morgen: Der Himmel ist relativ dicht bewölkt und nur vereinzelt blitzen blaue Flecken hindurch. Die Wolkenschicht lockert aber im Laufe der Zeit immer mehr auf. Nachdem wir etwa 19 Kilometer den See entlang gefahren sind, erreichen wir Puerto Rio Tranquillo, eine nette kleine Ortschaft. Nachdem wir in der Nebensaison unterwegs sind, ist nicht wirklich viel los. Die Touristeninformation ist geschlossen. Wir wollen aber eine Bootsfahrt auf dem See unternehmen und fragen daher im Tante-Emma-Laden mit angeschlossenem Imbiss nach. Nach wenigen Minuten trifft der herbeitelefonierte Bootsfahrer ein, holt sich an einer antiken Zapfsäule noch ein wenig Benzin und verfrachtet uns dann in einen Minibus. Zur Mole müssen wir ein kleines Stück zurück nach Norden fahren. An der Mole angekommen, werden wir noch mit Schwimmwesten ausgestattet und los geht’s.


Blick auf den Lago General Carrera.

Ziel unserer Bootsfahrt sind die Marmorhöhlen und die Marmorkathedrale. Diese entstanden, als das Wasser des Lago General Carrera die Marmorfelsen am Ufer angriff und auswusch und dabei im Laufe der Zeit tiefe Höhlen in das Gestein grub. Es weht eine steife Brise und das kleine Boot muss heftig arbeiten. Bei empfindlichen Naturen kann diese Fahrt bei derartigem Wetter durchaus mittelheftige Magenverrenkungen zur Folge haben. Nach etwa 15 Minuten Fahrt erreichen wir die Marmorhöhlen. Diese befinden sich in einer Felswand am Seeufer. Schon aus einiger Entfernung kann man die Auswaschungen gut erkennen, unser Fahrer steuert das Boot aber ganz nah heran und sogar in die Höhlen hinein. Ein phantastischer Anblick. Die vom Wasser erzeigten nahezu organischen Formen erinnern an Slotcanyons wie den Antelope Canyon im Südwesten der USA und irgendwie auch an die Wave, die große Sandsteinwelle an der Grenze von Utah und Arizona. Nur ist hier halt im Gegensatz zum für die USA typischen Rottönen alles in weiß und hellgrau gehalten. Wir dürfen auch aussteigen und ein wenig in den Höhlen herumlaufen.


Marmorhöhlen am Lago General Carrera.


In den Marmorhöhlen.

Die Marmorkathedralen, zu der wir als nächstes fahren, gefallen uns sogar noch besser. Hier sind zwei riesige Felsbrocken in den See gestürzt und wurden dann im Laufe der Jahre von Wasser bearbeitet. Die Unterseite der Felsen ist komplett ausgewaschen, der Durchmesser ist hier deutlich geringer als einige Meter weiter oben. Das Ganze erinnert entfernt an einen riesigen Pilz - ein Pilz, dessen Stil aus surrealistisch geformten Kammern und Waben besteht, durch die man an der einen oder anderen Stelle sogar hindurch schauen kann. Auch hier fahren wir bis direkt an die Strukturen heran und dürfen etwas in den Höhlen herumkraxeln. Gerade im Kontrast des hellen Marmorgesteins zu dem tief türkisfarbigen Wasser ergibt sich ein phantastischer Gesamteindruck. Das ist definitiv einer der bisherigen Höhepunkte unserer Reise. Während der ganzen Bootsfahrt - wir sind ja nur zu zweit mit unserem Bootsfahrer unterwegs - sehen wir nur ein einziges Mal ein anderes Boot. Auch dieses mit nur zwei Gästen. Es wird sich fröhlich zugewunken.


Marmorkathedrale im Lago General Carrera.

Zurück in Puerto Rio Tranquillo nutzen wir den Dorfladen gleich zu einem kleinen Mittagessen und um uns mit ein paar Knabbereien einzudecken. Gerade als wir fröhlich am Schmausen sind, kommen die beiden Leute in den Laden, die in dem zweiten Boot unterwegs waren. Die Freude ist groß, als wir das deutsche Pärchen wieder erkennen, die wir gestern an dem Campigplatz bei den Los Manos de Cerro Castillo getroffen hatten. Es werden Reiserouten und Erfahrungen ausgetauscht. Die beiden sind auch von Puerto Montt aus aufgebrochen, wollen aber nur noch ein kleines Stück weiter nach Süden fahren und dann wieder zurück. Wir verabschieden uns und fahren weiter.

Die Carretera Austral führt zunächst ein wenig bergauf und ein paar Kilometer südlich von Puerto Rio Tranquillo wieder bergab. Hier erreichen wir das Delta des Rio Leones. In das Tal dieses Flusses kommt man nur zu Fuß oder per Pferd, für Autos ist es gesperrt. Der Blick ins Tal hinein ist schon von der Straße aus toll: Direkt vor uns steht der 4058 Meter hohe Monte San Valentin, der mit Abstand höchste Berg hier in der Gegend. Der Monte San Valentin steht am östlichsten Rand des Campo de Hielo Norte, des nordpatagonischen Eisfeldes. Dieses Gletscherfeld hat eine Ausdehnung von 4400 Quadratkilometern und ist damit deutlich größer als alle Gletscher der Alpen zusammengenommen (diese erreichen nur etwa 3500 Quadratkilometer). Und im Vergleich zum südpatagonischen Eisfeld ist die nördliche Variante sogar noch als eher klein zu bezeichnen... Der Gipfel des Monte San Valentin ist leider etwas schüchtern und hüllt sich in Wolken, aber wir können sehr schön die vom Festlandeis herunter fließenden Gletscher erkennen.


Blick auf den Lago General Carrera.

Nur wenige Kilometer weiter kommen wir zum Ausfluss des Lago General Carrera. Das Wasser fließt mit viel Gewalt durch eine Engstelle in den Lago Bertrand. Die Straße verläuft hier über eine orangefarbige Hängebrücke, die verdächtig an diejenige erinnert, mit der der Rio Rosselot nördlich von La Junta überquert wird. Die Erbauer der Carretera Austral haben hier scheinbar mehrfach die identische Brücke bauen lassen oder in einem Katalog bestellt oder sonst was. Auch von hier aus bieten sich tolle Blicke auf den Monte San Valentin und seine Gletscher. Etwas weiter südlich befindet sich übrigens noch ein dritter See, der kleine Lago Negro. Wer in der Gegend an diesen drei wunderschönen Seen einen hochklassigen Urlaub verbringen will, dem sei die edle Hacienda Tres Lagos ans Herz gelegt, an der wir mehr oder weniger direkt vorbei kommen. Im Verlauf der Reiseplanung hatten wir uns überlegt, hier zu übernachten, aber zum einen hat diese Übernachtungsmöglichkeit nicht in die Etappenplanung gepasst und zum anderen waren uns 133 Dollar pro Person im Doppelzimmer (und das in der Nebensaison) dann doch geringfügig zu teuer.


Hängebrücke am Ausfluss des Lago General Carrera.

Kurz hinter der Hacienda Tres Lagos verlassen wir die Carretera Austral und biegen nach links, in Richtung Osten, ab auf die Ruta 265. Diese folgt zunächst einmal dem Südufer des Lago General Carrera, entfernt sich dann etwas von diesem und gewinnt steil an Höhe, nur um dann ebenso steil wieder bergab zu führen. Nach ein paar Kilometern erreichen wir die Ortschaft Puerto Guadal, wieder direkt am See gelegen. Im weiteren Straßenverlauf wird es sehr kurvig und es geht wieder gut in die Höhe. Kurz hinter Puerto Guadal müsste sich rechts der Straße die Cascada Maquis befinden, ein über mehrere Stufen herab fallender Wasserfall. Leider befindet sich dieser auf dem Grundstück einer Lodge und wir können von der Straße aus nur einen kurzen Blick erhaschen. Die Straße verläuft ein kurzes Stück im Landesinneren durch eine schöne grüne Landschaft. Der Straßenbelag verschlechtert sich zusehends, wir haben mit jeder Menge Löchern und Querrillen zu kämpfen, besonders im Verlauf der steilen Anstiege. Aber wir werden für die Mühen belohnt: Etwa 40 Kilometer hinter Puerto Guadal wird es spektakulär. Die Südseite des Sees grenzt hier direkt an eine steile Bergflanke. Die Straße ist hier quasi an den Berghang geklebt. Die Spannung wird dadurch erhöht, dass das Ganze teilweise ohne Leitplanke stattfindet. Links neben uns sehen wir, sehr weit unten, den See. Dessen türkisgrüne Farbe wird immer spektakulärer, je weiter wir nach Osten gelangen. Die Straße erreicht ihren höchsten Punkt am Paso de las Llaves, ab hier geht es bergab und nach einiger Zeit entfernen wir uns auch wieder ein wenig vom See. Eine wirklich tolle Straßenführung.


Blick von der Ruta 265 aus nach Westen über den Lago General Carrera.


Unterwegs auf der Ruta 265 kurz hinter dem Paso de las Llaves.

Hinter dem Paso de las Llaves befinden wir uns auf der Ostseite der Anden. Deutlich wird das an der nun schlagartig deutlich kargeren Landschaft. Wir nähern uns der argentinischen Pampa. Wir legen noch einen kurzen Stopp an der Garganta des Diablo ein, der Teufelsschlucht. Wenn man nicht weiß, dass sich diese Schlucht hier befindet, fährt man mit großer Wahrscheinlichkeit einfach vorbei. Es handelt sich um einen die Straße querenden Fluss, der sich tief ins Gestein eingegraben hat uns so eine äußerst tiefe aber extrem schmale Schlucht gegraben hat. Im weiteren Verlauf der Straße nach Chile Chico kommen wir zu einem nagelneu gegradetem Stück - was für eine Wohltat nach all dem Gerumpel zuvor. Wir kommen an einigen Salzpfannen vorbei (leider ohne Flamingos) und über einen kleinen Hügel nach Chile Chico. Kurz vor der Stadt befindet sich ein schöner Aussichtspunkt, von dem aus wir einen schönen Blick auf die kleine Ortschaft mit ihren fröhlich bunten Häusern haben.


Phantastische Farbe des Lago General Carrera.


Blick auf Chile Chico.

Wir checken zunächst in unserer vorgebuchten Lodge ein und schauen uns dann noch ein wenig in der Ortschaft um. Vom hiesigen Hafen könnte man mit der Fähre direkt nach Rio Ibanez fahren, nur wenige Kilometer von Villa Cerro Castillo entfernt. Aber wir wollen ja nach Argentinien und von dort aus weiter nach Süden. Bevor wir uns ein Restaurant zum Abendessen suchen, zählen wir unser Geld. Wir kommen zu dem Schluss, dass wir unbedingt unsere chilenischen Geldvorräte aufstocken müssen: Die nächsten Tage werden uns zwar nach Argentinien führen. Nach unserem nächsten Grenzübertritt nach Chile werden wir allerdings mehr oder weniger direkt in den Parque Nacional Torres del Paine fahren und so etwas wie Geldautomaten gibt es in diesem Park nicht. Also suchen wir den einzigen Automaten in Chile Chico und werden herb enttäuscht: Das Ding ist außer Betrieb. Während dem - wieder mal sehr leckeren - Abendessen wälzen wir Pläne: Morgen während den Schalterstunden bei der Bank vorbei schauen? Aber morgen ist Sonntag, haben da die Banken in Chile überhaupt geöffnet? Wir denken, dass dem nicht so ist, vor allem in irgendwelchen Käffern in Patagonien. Irgendwo in Argentinien Geld umtauschen? Oder auf der Fahrt in den Parque Nacional Torres del Paine einen kleinen Schlenker nach Süden einbauen, um dort irgendwo chilenisches Geld zu organisieren? Als wir nach dem Essen noch mal bei der Bank vorbei gehen, um nach den Öffnungszeiten zu schauen, ist die Erleichterung groß: Der Automat wurde in der Zwischenzeit repariert bzw. wieder aufgefüllt.

Mit frisch aufgefüllten Geldbeuteln zurück an unserer Lodge angelangt beschäftigen wir uns noch ein wenig mit dem sehr verspielten kleinen weißen Hund unserer Gastgeber und gehen dann ins Bett. Direkt vor unserem Fenster an der Rückseite des Hauses steht übrigens ein Pferd herum.
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