20.04.2019 Rowardennan
Unsere B&B-Wirtin Lucy hat gestern das Problem mit Dirks Schuhen mitbekommen (kein Wunder, wenn man mit Schuhen ankommt, die nur noch von Klebeband zusammen gehalten werden) und war so nett, uns ein abgelegtes Paar eines ihrer Söhne zu besorgen. Es handelt sich zwar nur um Turnschuhe ohne Knöchelschutz, aber sie haben mehr Profil als Dirks Stadtschuhe und sorgen dafür, dass wir die gestern geklebten Sohlen noch einmal schonen können. Auch das Frühstück ist hervorragend: wir sind diese Nacht die einzigen Gäste, aber mit dem, was in der Küche aufgefahren ist, könnte man eine ganze Garnison verköstigen.
Gesättigt brechen wir auf. Heute mit leichtem Gepäck: Wir bleiben an unserem Standort und besteigen mit dem Ben Lomond unseren ersten Munro. Munros nennt man hier in Schottland Berge mit über 3000 Fuß (914 m) Höhe. Benannt sind sie nach Sir Hugh Munro, der im 19. Jahrhundert erklärte, es müsse mehr als die damals postulierten 30 derartige Berge gäbe. Er hatte recht: heute zählt man 283 Munros.
Wie gestern der Conic Hill ist auch der Ben Lomond ein sehr beliebtes Ausflugsziel und so erfolgt unser Aufstieg über den Normalweg in einer regelrechten Prozession. Menschen jeden Alters und jeden Fitnessgrads bewegen sich nach oben. Viele haben auch Hunde dabei. Unter anderem ist da eine Familie mit einem acht- oder neunjährigen Mädchen. Von anderen Wanderern wird der Vater angesprochen, seine Tochter sei eine richtige "mountain goat". Ein paar Schritte weiter will die Tochter wissen, was damit gemeint sei. Der Vater erklärt, dass sie wirke, als sei sie viel in den Bergen unterwegs. "No!", kommt es da von der Tochter. "I'm a cycle goat!"
Nach einem ersten steilen Anstieg kommen wir auf eine Art Hochebene, aus der sich der Gipfel kegelförmig erhebt. An dessen Flanke folgt noch ein zweiter steiler Anstieg, noch ein wenig flach den Gipfel umrundet und wir sind oben. Mit der Fernsicht ist es heute leider nicht weit her, denn es ist sehr diesig. Aber wir wollen uns nicht über das Wetter beklagen: noch vor einer Woche hatte der Wetterbericht für heute Regen und einstellige Temperaturen vorhergesagt. Da ist dies doch um einiges besser.
Für den Abstieg wählen wir den Alternativweg, in unserem Wanderführer als Jugendherbergspfad bezeichnet, da er bei der Jugendherberge (und unserem B&B) im Tal startet. Hier ist viel weniger los, außerdem ist der Weg viel schöner. Nach einer leichten Kraxelei vom Gipfelaufbau hinunter geht es zunächst durch einen kleinen Sumpf, dann als schmaler Pfad stetig abwärts ins Tal. Die Blicke zurück zum Gipfel und hinunter zum See sind atemberaubend.
Am frühen Nachmittag kommen wir unten an. Im Shop der Jugendherberge besorgen wir uns etwas kühles zu trinken und bestellen ein Abendessen vor. Den Rest des Nachmittags widmen wir der Erholung. Eigentlich hätten wir gedacht, dass wir als Wanderer in dem edlen (und nicht ganz preiswerten) Fremdkörper sind. Nein, erklärt uns Lucy, Wanderer seien ihre bevorzugten Gäste. Die würden abends nicht lange feiern oder den Fernseher laut aufdrehen, denn dafür wären sie meistens viel zu müde. Da sie uns ja schon ein Paar alte Schuhe besorgt hat, kommen wir auf das Thema Wanderausrüstung allgemein und erwähnen in dem Kontext, dass wir unsere Wanderstöcke nur deswegen daheim gelassen haben, weil sie zu groß für den Flugzeugtransport im Rucksack waren. Das ist doch gar kein Problem, in dem Hotel, das sie in Balmaha betreibt, werden regelmäßig Stöcke von den Gästen vergessen - davon will sie uns einfach zwei Paar mitbringen, wenn sie nächstes Mal nach Balmaha fährt. Gesagt, getan, nicht viel später halten wir zwei Paar Hightech-Stöcke in den Händen. Wir wollen ob des Werts der Stöcke ablehnen und bekommen beschieden, dass wir diese in Fort William einfach einem Gepäcktransporteur (also jemand, der Rucksäcke oder Koffer zwischen den Etappenzielen des West Highland Way transportiert) für den Rücktransport mitgeben sollen - und bekommen dafür sogar einen handgeschriebenen Zettel vorbereitet. Das ist ein Service, super.
Das Abendessen in der Jugendherberge ist zwar typisches Jugendherbergsessen aber dafür reichlich und sättigend und damit genau das was man nach einer Wanderung braucht.
Da vorne ist der Gipfel des Ben Lomond
Blick vom Ben Lomond nach Süden
Abstieg vom Ben Lomond
Wir nähern uns wieder dem Loch Lomond